Organisten

von Rolf Smidt


Über Orgelmusik schreiben, ist wie zur Architektur tanzen, über Liebe ein Buch schreiben oder die chemischen Substanzen einer Orchidee zu analysieren. Will sagen: ich würde Ihnen lieber was vorspielen als vorschreiben.

Da ich seit 50 Jahren, also seit meinem 12. Lebensjahr, Orgel spiele, wurde mir die Ehre zuteil, die Wilhelmsdorfer Organisten in diesem Artikel "Dienste in der Gemeinde", zu vertreten.

Es gibt eine ganze Reihe dieser Künstler bei uns: ältere, alte, ganz junge und die dazwischen. In der Regel ist es daher auch kein Problem, den Spielplan für das jeweils kommende Quartal aufzustellen. Und unsere Orgel ist jetzt - nach der 20.000 DM Renovierung im letzten Jahr auch wieder ganz passabel. Einige von uns können da aus dem königlichen Instrument auch Himmlisches herausholen. Ich verhalte mich mit dem Instrument eher marktschreierisch oder biete barocken Bluff.

Schlimm war für mich die Bemerkung eines Bruders vor der Orgelreparatur, im Zeitalter der Wilhelmsdorfer Gitarren könne man doch auf diesen teuren Bock ganz verzichten. Dem Autor dieses Satzes sei verziehen.

Aber nun zu mir. Es begann so: Der Organist meiner Heimatgemeinde bekam die Parkinsonsche Krankheit und ich den Orgelschlüssel. Schon am Montag suchte damals der Pastor für mich die Lieder des nächsten Sonntages aus oder ich durfte selbst die Choräle herausfinden, die mir gefielen. Und ich übte. Am liebsten "tutti", das ist das lauteste, ein Mix aus fast allen Registern (s. tutti frutti). Und am liebsten bei Nacht. Wer "Schlafes Bruder" gelesen hat, versteht mich im Ansatz.

Orgelunterricht habe ich viel später gehabt und das nur eine einzige Stunde. Die war so ätzend, dass ich mich nie wieder blicken ließ. Ich beschloss dann, mir meine Kunst selbst beizubringen und nicht weiterhin andere zu belästigen. Während meiner Ausbildungszeit habe ich in Hoheneck bei Ludwigsburg mein Taschengeld mit Orgeln aufgebessert, für eine Beerdigung gab es damals 15 und für eine Trauung (damals immer das Largo von Händel oder So nimm denn meine Hände) 15 Mark plus Busgeld. Schade, wenn die Beerdigung im Nachbarort war.

Nachteil meiner selfmade Methode: Ich kann kaum nach Noten spielen, bin auf die gegenwärtige Stimmung und Intuition angewiesen und muss alle oft sehr netten Angebote von Begleitern (vor allem Begleiterinnen) mit Flöten und Geigen und sonstigen Soloinstrumenten absagen, es sei denn, ich riskiere schlaflose Nächte, zittrige Hände, schweißnasse Hemden und grobe Verpatzer.

Es gibt ganz große Augenblicke, die man mit dieser Gabe erleben darf. Zum Beispiel dann, wenn die Gemeinde gut drauf ist und nicht nur "runter singt", das gibt dem Mann auf der Orgelbank die entsprechende power. Zum Beispiel bei: Jesu meine Freude, Vers: Weicht ihr Trauergeister.... Oder: Sollt ich meinem Gott nicht singen, oder Wachet auf, ruft uns die Stimme, Vers: Gloria sei dir gesungen...

Da kann man sich mit geschlossenen Augen in die Tasten und in das Pedal fallen lassen, das Lob steigt wie von alleine aus den Kehlen der Gläubigen und den Pfeifen der Orgel und durchbricht die Betsaal- und darüber liegende Wolkendecke und landet direkt vor dem Thron Gottes. Nur der Posaunenchor ist noch besser (ich meine nicht lauter!).

Vor- und Nachspiele sind in Wilhelmsdorf für mich eine eher zwiespältige Angelegenheit. Beim Präludium ist es noch laut, beim Postludium wieder laut. So kann man eigentlich spielen, was man will, es hört eh kaum einer zu. Beim Hinausgehen reden die Leute um so intensiver, je lauter man spielt. Also ist die Musik eher eine Animation. Aber keine schlechte, oder? Stellen Sie sich vor, man ginge schweigend von dem schönsten Erlebnis der Woche, dem Sonntagmorgengottesdienst nach Hause. Gut, wenn die Gemeinde redet, schlimm wenn sie schweigt! Drum soll der Organist nicht so tun, als sei er der wichtigste, er ist nur der lauteste. Aber er wird gebraucht.

Bis zum nächsten mal, jeder an seinem Platz - zur Ehre unseres Herrn. Soli deo gloria! Ihr Rolf Smidt

P.S. Ob ich mit meinem Beitrag jemanden ermutigen konnte, einmal in die Orgel- oder auch Klaviertasten zu greifen? Ich möchte Sie ermutigen, Ihre musikalischen Fähigkeiten in den Dienst der Gemeinde zu stellen. Wenn Sie Interesse haben, sprechen Sie doch einen von uns Organisten an!