Lea Fleischmann - Lesung

"Arm ist man nicht. Arm fühlt man sich."

Die Bestseller-Autorin Lea Fleischmann war auf Lesereise zu Gast in Wilhelmsdorf.

 

Tatort Deutschland, vor 69 Jahren: vom 08.-14. November brennen in Deutschland die Synagogen. Ab dem 10. November wurden ungefähr 30.000 Juden in Konzentrationslagern inhaftiert, wo nochmals Hunderte ermordet wurden oder an den Haftfolgen starben. Fast alle Synagogen und viele jüdische Friedhöfe in Deutschland und Österreich wurden zerstört.

Die Novemberpogrome 1938 (waren eine vom nationalsozialistischen Regime organisierte und gelenkte Zerstörung von Leben, Eigentum und Einrichtungen der Juden im gesamten Deutschen Reich. Dabei wurden allein bis zum 13. November 1938 etwa 400 Menschen ermordet oder in den Tod getrieben.

Aus Anlass dieser Novemberpogrome luden die Zieglerschen Anstalten im Rahmen der monatlich stattfindenden Diakonie-Abendgottesdiensten Z.AGO Lea Fleischmann nach Wilhelmsdorf ein.
Die jüdische Autorin Lea Fleischmann (60), Tochter von Holocaust-Überlebenden, las am Dienstag Abend im vollbesetzten Gemeindehaus der ev. Brüdergemeinde aus ihrem Buch "Meine Sprache wohnt woanders". Die Geschichten aus ihrem Buch, geben einen ungewöhnlichen Blick auf das hektische Treiben in Deutschland und die religiöse Geborgenheit, die sie in ihrer Wahlheimat Israel fand.


Lea Fleischmann hat in Israel zur Religion gefunden. Früher Feministin, pflegt sie heute die jüdische Tradition und erklärt ihrem Publikum auch warum. Lea Fleischmann sieht in religiösen Ritualen und einem festen Gottvertrauen den Weg zu innerer Ruhe. Diese gab es in ihrem Elternhaus nicht. Als KZ-Überlebende hatten Lea Fleischmanns Eltern neben ihren Wurzeln auch ihr seelisches Gleichgewicht verloren. Für sie blieben die Deutschen Nazis und Mörder, während die 1947 in Ulm geborne Lea die Deutschen als "ganz normale Menschen" erlebte. Sie verbrachte ihre Jugend in Frankfurt und studierte nach dem Abitur Pädagogik und Psychologie.

Als die "Radikalenerlasse" gegen die Kommunisten Ende der 70er Jahre das Klima auch an den Schulen veränderte, verließ sie den Schuldienst und ging nach Israel. Obwohl sie die israelische Staatsbürgerschaft annahm, blieb sie doch sprachlich immer mit Deutschland verwurzelt: "Mann kann seine Sprache nicht abgeben wie einen Pass, geschweige denn, einfach in eine neue Sprache einwandern."

 

Heiko Bräuning, Pfarrer in den Zieglerschen Anstalten sprach mit der gebürtigen Deutschen, die heute in Jerusalem in Israel lebt.

"Dies ist nicht mein Land" heißt Ihr erstes Buch. In welches Land kehren Sie jetzt zur Lesung zurück?
Fleischmann: Ich komme in ein Land zurück, das ich gut kenne und dessen Sprache ich spreche. Aber ich betrachte Deutschland nur noch von außen, bin nicht mehr involviert. Aber ich komme gerne zurück.

In Ulm geboren und aufgewachsen, haben Sie 1979 Ihre Heimat verlassen. Warum?
Fleischmann: Das hängt mit meiner Familiengeschichte zusammen. Ich habe meine Kindheit mit traumatisierten Eltern verbracht. Die haben den Holocaust überlebt, sind psychisch aber nie aus den Lagern herausgekommen. Als Kind habe ich vieles nicht verstanden. Erst als Lehrerin habe ich begriffen: Es gibt Menschen, die nur Verordnungen ausführen. Ich bekam Angst. Wenn es den Menschen schlecht gehen und wieder ein starker Mann kommen würde, würden die Menschen vielleicht wieder nur ausführen.

Haben Sie diese Angst heute noch immer?
Fleischmann: Heute ist Deutschland stark in die EU eingebunden, die Demokratie hat sich verfestigt. Ich glaube nicht, dass man diese demokratische Struktur wieder abschaffen könnte, dass eine Diktatur möglich wäre.

Was ist Heimat heute?
Fleischmann: Ganz klar, heute ist Jerusalem meine Heimat.

Ihre Eltern haben als Juden in Deutschland den Holocaust überlebt. War das ein Thema in Ihrer Kindheit und Jugend?
Fleischmann: Es wurde nicht viel darüber geredet, und doch war der Holocaust stets präsent. Es war klar: Die Eltern waren krank durch den Holocaust. Außerdem existierte keine Familie mehr, keine Großeltern, keine Tanten, Onkel, Cousins. Anderes Beispiel: Es gab nach dem Krieg keinen Hunger in unserer Familie - und doch war Hunger stets ein Thema.

Wie haben Ihre Eltern den Holocaust überlebt?
Fleischmann: Meine Mutter in mehreren Lagern. Die Geschichte meines Vaters kenne ich gar nicht so genau. Es gab manchmal Bruchstücke von Geschichten, aber dann viel Schweigen. Nicht einmal die Namen der Geschwister meines Vaters wurden genannt. Das Schweigen war typisch in vielen jüdischen Familien. Erst in den letzten Jahren wird mehr gesprochen.

Heute gedenkt die Welt der Pogromnacht 1938. Haben Ihre Eltern erzählt, wie sie diese Nacht erlebt haben?
Fleischmann: Nein, darüber haben wir nicht geredet.

Nun erleben Sie diesen Tag in Deutschland. Mit welchen Gefühlen?
Fleischmann: Ich möchte den Menschen mit meinen Lesungen gerade aus Anlass der Novemberpogrome etwas aus meiner Familiengeschichte erzählen, als individuelle, aber auch als Zeit-Geschichte. Ganz besonders am Herzen liegt mir aber die Vermittlung des Judentums. Das wird heute immer nur mit dem Holocaust verbunden. Die Menschen hier wissen wenig über die Kultur.


Wie wichtig ist Ihnen das Thema Religion?
Fleischmann: In Deutschland war mir Religion überhaupt nicht wichtig. Judentum hatte für mich nur was mit Verfolgung zu tun. In Israel habe ich den religiösen Weg gefunden. Jetzt vermittle ich, was Judentum heißt, wie wichtig zum Beispiel der Sabbat ist. Ich sehe, wie hier bei Ihnen der Sonntag als Feiertag ausgehöhlt wird. Die Menschen sollten wieder über einen heiligen Tag nachdenken.