Warum ich glaube
Hans Georg Lehbauer

Glauben an was? - das war die erste Reaktion, als man mich fragte, ob ich zu dem Thema eine Stellungnahme schreiben könnte. An Gott, den Vater, an Jesus Christus, den Sohn und an den Heiligen Geist. Natürlich, an wen sonst? - Nur: wer ist das? Ist das tatsächlich der, den man mir so in meinen 65 Lebensjahren beschrieben hat, im Religionsunterricht, in Predigten und Bibelarbeiten und in unzähligen Büchern, in Gesprächen mit Menschen, welche ich schätze und solchen, die mir mit diesem Thema eher Mühe machen. Ist er so, wie ich ihn mir vorstelle - der Eine, der Dreieinige?
Mich beschäftigt die Frage, woran ich glaube weit mehr, als eine Begründung für den Glauben. Auf die Frage nach dem "warum" hätte ich lange Zeit antworten müssen: "Weil ich es so gewohnt bin - weil ich es bei den Eltern so gelernt habe". Später - nach einer "Religionspause" - waren es einzelne Menschen, welche mit ihren Aussagen zu ihrem Glauben und in ihrer Lebensgestaltung für mich zum Vorbild wurden, an denen ich meine Vorstellungen und Lebensziele orientierte.
Auseinandersetzungen über die Frage nach dem Ziel des Lebens und dem Sinn meines Tuns führten mich in die Diakonie und in die Sozialarbeit. Der Beruf verschlug mich nach Wilhelmsdorf - und für einen arglosen Landeskirchler wie ich damals war, wurde die Begegnung mit frommen Menschen und mit engagierten christlichen Gruppen in dieser Gemeinde zunächst zu einer erheblichen Belastung, in der ich mich ständig als halber Heide erfuhr - später wurde es dann zu einer Herausforderung. In die Brüdergemeinde trat ich ein, weil das damals so üblich war und ich diese freier wirkende Sonderform innerhalb der Landeskirche interessant und unterstützenswert fand.
So manches, was in unserer Kirche und unter uns Christen als "unverrückbares Glaubensgut" definiert und als für das geistliche Leben entscheidend angesehen wird, macht mir Mühe und reizt mich zur Entwicklung eigener Sichtweisen - damals schon und auch heute noch.
Um mitreden zu können und dabei gegenüber frommen und gleichzeitig auch bibelkundigen Menschen mit meinen Überlegungen gelegentlich mal recht zu behalten - in Hauskreisen und anderswo, - vertiefte ich mich in biblische, theologische und kirchengeschichtliche Fragen. Dazu hatte ich in meiner therapeutischen Arbeit gelernt, dass nichts so ist, wie es sich darstellt und dass man die Verhaltensweisen eines Menschen, einer Gruppe oder einer Gemeinschaft erst verstehen kann, wenn ihre Entwicklung, ihre Wurzeln deutlich sind. Diese Sichtweisen bringen mir immer wieder neue Erkenntnisse über "das Reich Gottes" und die Bilder, welche wir uns davon machen.
Es war nicht der Zweifel an Gott, der mich herausforderte und bis heute in Gang hält, sondern der Zweifel an dem, was man mir über ihn sagte. Mir geht es nicht um religiöse Formen sondern nur darum, vertrauen zu können, dass "Gott ist" und dass Sein Plan einen Sinn hat - für die Welt und auch für mich.
Vorbereitungen zu Bibelarbeiten und Andachten führten mich zu Auseinandersetzungen mit unseren Vorstellungen von Gott - und wie diese Vorstellungen den Umgang mit biblischen Texten beeinflussen - wie wir Gott mit unseren auf Raum und Zeit begrenzten und durch unsere Kultur geprägten Erfahrungs-Möglichkeiten einengen und verkleinern - Ihn an unsere Vorstellungen anpassen. Wichtig wurde mir dabei: einen Text neu sehen können, nicht verstellt durch traditionelle oder zur Zeit übliche Sichtweisen. Das Wort Gottes spricht in meine heutige Lebenssituation und ich freue mich, wenn neue Ideen und Erkenntnisse es ermöglichen, dass ein Text hilfreich wird für mich oder andere Menschen.
Was mir Sicherheit gab, ist ein kleines Erlebnis, das ich alleine für mich hatte, in der Kirche von Taizé. Was da mit mir passiert ist, lässt sich nicht in Worte fassen - und ich will dies auch nicht. Ich konnte nichts gegen die gesprochenen Texte sagen, konnte nichts hinterfragen von dem, was dort gesagt wurde, denn ich verstand kein Französisch. Niemand stellte eine Forderung an mich - ich war frei, saß auf dem Boden, hörte den Gesang, summte mit und wurde angerührt: "Gott ist gegenwärtig"
Ich denke, hier ist eine Beziehung entstanden, welche Bestand hat, von der ich allerdings erst viel später etwas verstanden habe und die im Grunde genommen immer noch ein Geheimnis ist. Damals fing es an, dass ich langsam freier wurde vom "etwas glauben müssen, was eine Kirche, eine Gemeinschaft oder ein bekannter Theologe irgendwann als gültig festgelegt hat," und dass ich mich auf die Suche machen konnte, ein wenig mehr und noch Unbekanntes zu erfahren von unserem Gott, - ohne die Angst im Hintergrund: "du darfst nicht!"
"In Gottes Hand sein" oder "von Gottes Gegenwart getragen sein" das habe ich damals erfahren. Und auch wenn dieses Wissen für mich nicht viel von dem beinhaltet, was wir uns sonst unter Gottes Hilfe auf dieser Erde wünschen, erbitten und erhoffen, so gibt es mir Sicherheit für mein Leben in dieser Welt.. Das Handeln Gottes hat einen Sinn für das Reich Gottes, auch wenn ich nur selten etwas davon wirklich verstehe und Er sich nicht an unsere Regeln und Wertvorstellungen hält.
Ich glaube an Ihn in Jesus Christus, in welchem Er sich dieser Welt zeigte, sich mit ihr versöhnte - und auch für mich einen Weg ebnete.
Ich glaube an Ihn im Heiligen Geist, als der Er weiter in seiner Schöpfung wirkt und mich etwas von sich erfahren und persönlich erleben lässt.
Ich denke, ich werde weiter auf der Suche sein, etwas mehr und Neues vom Reich Gottes zu begreifen - auch wenn ich weiß, dass ER nicht zu begreifen ist. Und ich werde meinen Weg in Seinem Reich in kleinen Stufen weitergehen. Dies passt zu mir und soll kein Modell sein für Andere. Es sind meine Erfahrungen und sie bedeuten mir mehr als alle religiösen Formen und kirchlichen Traditionen, welche mir das "Bild Gottes" einengen und festschreiben wollen.
H.G. Lehbauer