Das Lamm auf dem Dach und auf dem Altartuch

Da steht ein goldenes Lamm auf der Turmspitze des Betsaals und neben ihm weht eine goldene Fahne. Eine Siegesfahne übrigens. Wer den Betsaal betritt wird dem Lamm gleich nochmals begegnen; nämlich auf dem Altartuch als geklöppelte Handarbeit. Es ist ein Geschenk von Herrnhuter Schwestern an unsere Gemeinde. 

Mit Herrnhut sind wir auch gleich an der Stelle, von der aus das Symbol des Lammes alle Brüdergemeinden verbindet. Herrnhut ist ein im 17. Jahrhundert gegründetes Dorf, in dem sich um den Grafen Nikolaus von Zinzendorf Menschen sammelten, die sich in der Idee verbunden wussten, als Brüder und Schwestern gemeinsam den Glauben an Jesus Christus verbindlicher zu leben. Hier in Herrnhut traf sich die Idee der sogenannten Böhmischen Brüder (einer kirchlichen Aufbruchsbewegung des späten Mittelalters) mit den Ideen des Grafen Zinzendorf: eine Gemeinschaft zu gründen und zu leben, die sich mit Jesus als Mitte ihres gemeinsamen Lebens verbunden wusste.
Dabei blieb man zwar in der lutherischen Kirche der Reformation, wollte aber zugleich offen sein für Menschen aller Konfessionen. Das Entscheidende war: Wir sind in Jesus, dem Lamm Gottes (Joh.1, 27), verbunden. Wir glauben an ihn, lieben ihn und lassen uns von seiner Liebe zu den Menschen anstecken, ja immer wieder neu ergreifen.
Wenn die „Brüder“ von Jesus sprachen, dann nannten sie ihn damals fast immer das Lamm. Als gemeinsames Symbol wählten sie daher das aus dem Mittelalter schon bekannte Lamm mit der Siegesfahne.

Als nun um 1800 auch in Württemberg die Idee des Grafen Zinzendorf um sich griff und viele sich nach einem verbindlicheren, aber zugleich auch von der verfassten Kirche freieren Form sehnten, kam es zu den beiden Gründungen von Korntal und dann eben auch von unserem Wilhelmsdorf als „Brüdergemeinden“.
Man blieb Teil der großen evangelischen lutherischen Kirche und war doch zugleich selbständig. Man wusste sich der Idee Zinzendorfs verbunden und setzte daher an die Spitze des Betsaalturmes dieses Lamm. Alle Wilhelmsdorfer sollten dadurch immer wieder daran erinnert werden, dem „Lamme“ nachzufolgen und als Christen im Alltag zu leben.

Das Altartuch kam erst in den letzten Jahren dazu, als Zeichen der Verbundenheit mit der alten Herrnhuter Idee der Brüdergemeinden.


Das Lamm auf der Betsaalspitze kann uns bis heute immer wieder daran erinnern, wer für uns Christen die Mitte ist. Nicht die jeweilige Konfession oder Richtung und Art der Frömmigkeit, sondern Jesus Christus, den die Bibel nicht ohne Grund das Lamm Gottes nennt.
Denn ohne sich zu wehren ging er wie ein Lamm in den Tod. (Vgl. auch das Lied „Ein Lämmlein geht und trägt die Schuld“ EG 83,1). Als der Auferstandene hat er dann den Tod überwunden. Dafür steht die Siegesfahne. Oder wie es in einem Osterlied Paul Gerhardts heißt:

Er war ins Grab gesenket,
der Feind trieb groß Geschrei;
Eh er’s vermeint und denket, 
ist Christus wieder frei
und ruft Viktoria, 
schwingt fröhlich hier und da
Sein Fähnlein als ein Held, 
der Feld und Mut behält.